Kaum Positivfälle, fehlende Daten: Trotzdem hält NRW an Masken und Pflichttests für Schüler fest
von Susan Bonath
Der Sommer hält Einzug in Deutschland, das offenkundig saisonale Coronavirus SARS-CoV-2 macht sich rar. Die vom Robert Koch-Institut (RKI) berechneten Sieben-Tage-Inzidenzen befinden sich im Sinkflug. Am Donnerstag war dieser Wert für ganz Deutschland auf 19,3 Positivfälle pro 100.000 Einwohner gefallen. So lockern die Bundesländer ihre Corona-Maßnahmen: Gastronomie und Freizeitparks öffnen, größere Veranstaltungen werden erlaubt, der Präsenzunterricht startet. Gelockert wird vielerorts auch die Testpflicht. Nur Schulkinder stehen weiter hintan. Sie müssen sich weiterhin zweimal pro Woche einem solchen Eingriff unterziehen, um am Unterricht teilzunehmen. In vielen Bundesländern sitzen sie noch immer den ganzen Tag mit Masken und Abstandspflicht im Unterricht, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen (NRW) – trotz bleibend dünner Datenlage und geimpfter Lehrer.
Überall Lockerungen – nur für Schüler nicht
Dabei sind in NRW-Orten mit "stabiler Inzidenz von unter 35" bereits Sporttreibende in Fitnesscentern, Besucher von Kulturveranstaltungen mit bis zu 1.000 Teilnehmern im Freien und sogar Gäste der Innengastronomie vom Testzwang befreit. Auch außerschulische Bildung und Prüfungen in Innenräumen sind dort ohne negativen Corona-Test wieder möglich. Insgesamt lag der Sieben-Tage-Inzidenzwert in NRW bei 20,8. Warum also wurden Kinder und Jugendliche, die unter Masken und Testzwang vermutlich ganz besonders leiden, nicht auch befreit?
Eine plausible Begründung lieferte Axel Birkenkämper, Sprecher des NRW-Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), auf Anfrage der Autorin nicht. Zwar sei bereits allen Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern in seinem Bundesland ein Impfangebot gemacht worden, viele seien auch geimpft, und die Inzidenzwerte sänken. Dennoch gelte Masken- und Testpflicht für die Schüler weiter, und zwar auch in Schulen mit hoher Impfrate beim Personal, bestätigte er. Und es gebe auch keinen Plan, ab wann gelockert werden solle.
Ministerium: Impfung nicht sicher genug, Gefahr für die Oma
Die nordrhein-westfälische CDU-FDP-Regierung unter Armin Laschet (CDU) hält also offenbar die Impfung für wenig wirksam. Die konkrete Frage danach umging der Sprecher: Insgesamt wirkten die eingesetzten Impfstoffe nach Ansicht seines Ministeriums zwar gut, "um Infektionen und schwere Erkrankungen mit COVID-19 zu verhindern". Man nehme auch "auf Basis der bisherigen Datenlage" an, dass Geimpfte weniger ansteckend seien, falls sie sich doch infizierten.
"Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass Menschen nach entsprechender Exposition trotz Impfung symptomatisch oder asymptomatisch infiziert werden können und dabei SARS-CoV-2 ausscheiden",
sagte Birkenkämper und ergänzte: Deshalb empfehle ja die Ständige Impfkommission des RKI, dass auch nach Impfung die allgemeinen Schutzmaßnahmen, wie Maske, Abstand, Hygieneregeln und Lüften eingehalten werden sollen. Dies, so der Sprecher, "ist insbesondere an Schulen durch zahlreiche Kontaktmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen sinnvoll".
Sein Ministerium hoffe auf breite Impfbereitschaft bei zwölf- bis 15-jährigen Jugendlichen, für den das mRNA-Vakzin von Pfizer/BioNTech in der EU bereits bedingt zugelassen worden ist. "Damit wird der Fokus der Impfstrategie stärker in Richtung Bevölkerungsschutz verschoben", führte er aus. Denn Jugendliche hätten viele soziale Kontakte und schützten damit auch ihre Eltern und Großeltern.
Asymptomatische Gefährder? Könnte, hätte, wäre, wenn …
Sollen also symptomlose, sogar negativ getestete Kinder und Jugendliche auf unbestimmte Zeit weiter Masken tragen und Abstand halten, weil theoretisch die Möglichkeit besteht, symptomlos vom Virus befallen zu sein und einen Lehrer trotz Impfung anzustecken? Es könne ja auch sein, dass einige Lehrer sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen dürften, zimmerte Birkenkämper weiter an dem theoretischen Konstrukt.
Zudem schützten sich die Kinder durch "die inzwischen gut eingeübten und vertrauten Schutzmaßnahmen" untereinander, führte er weiter aus. "In wenigen Fällen" könne es schließlich auch in ihrer Altersgruppe zu problematischen COVID-19-Verläufen kommen. Und letztlich hätten die Kinder, so schloss er den bekannten Kreis, auch Kontakt zu Mutter, Vater, Oma und Opa – und die seien möglicherweise gefährdet.
Es zeigt sich: Die Argumentation des NRW-Ministeriums ist wie jene des RKI bis heute kaum über den Stand von vor einem Jahr hinausgekommen. Auf das RKI berief sich Birkenkämper auf Nachfrage zu gesicherten Daten über eine Ansteckung durch Menschen ohne Symptome. Dort heißt es sinngemäß: Zwar spielten jene, die keine Symptome entwickelten, eine untergeordnete Rolle. Aber jeder, der keine Symptome habe, könne noch welche entwickeln, falls er infiziert sei. Und diese in dem Fall Präsymptomatischen spielten eben doch eine Rolle. Die Hauptrolle in dieser Argumentation spielt weiterhin der Konjunktiv: könnte, hätte, wäre, wenn.
Unsichere Selbsttests, keine Kenntnis über Ausbrüche in Schulen
Möglicherweise vertraut das Ministerium den Selbsttests nicht, den die Schüler zweimal pro Woche an sich durchführen müssen. Klar ist: Sie geben häufig ein falsches Ergebnis wieder. Das ist sogar dem RKI bekannt. Ende Mai schätzte es, dass sie in 40 bis 50 Prozent aller Fälle ein falsch positives Ergebnis liefern.
Dies sei aber gar nicht das Problem, führte das RKI in einem Bulletin vom 29. April 2021 aus. Demnach bestehe auch eine Unsicherheit bei den negativen Ergebnissen. Man wisse gar nicht, wie sicher ein negatives Ergebnis eine übertragungsrelevante Infektion ausschließe, heißt es darin.
Andersherum wisse das NRW-Ministerium aber nicht, wie viele positive Schnelltests in Schulen seit der Einführung der Pflicht sich nicht durch PCR-Tests bestätigt haben, also falsch positiv waren. Es weiß auch nicht, ob es Fälle von COVID-19 in Schulen bei negativ Getesteten gegeben hatte. Und Birkenkämper konnte keinen Fall irgendeines gravierenden Ausbruchsgeschehens in Schulen seit Beginn der Pandemie nennen. Dessen bedürfe es nicht, befand er. Es gehe grundsätzlich darum, "die Ansteckungsrisiken zu minimieren", und zwar dort, "wo Menschen eng und über längere Zeiträume Kontakt zueinander haben".
Entdeckte Positivfälle unter Schülern im Promillebereich
Wie viele Positivfälle wurden nun eigentlich in den Schulen Nordrhein-Westfalens durch die Massentestung der Schüler entdeckt? Birkenkämper verwies auf eine Datenanalyse seines Ministeriums, in der unter anderem die Anzahl der Schüler und die der "bestätigten Infektionen" angegeben ist.
So gaben die teilnehmenden Einrichtungen in der letzten Maiwoche, der Kalenderwoche 21, insgesamt 1,714 Millionen Schüler an, von denen 99,2 Prozent (1,7 Millionen) mindestens zeitweisen Präsenz-Unterricht waren. Demnach müssten diese in dieser Zeit rund 3,4 Millionen Selbsttests durchgeführt haben. Von diesen 1,7 Millionen Schülern wurden gerade einmal 1.923 als Positivfälle entdeckt, also 0,11 Prozent. Und 4.824 Schüler mussten deshalb in die Quarantäne.
Die höchsten "Fallzahlen" meldeten die Schulen in NRW übrigens in der letzten Aprilwoche. Von rund 1,93 Millionen Schülern, die sich zweimal pro Woche testen mussten, wurden 4.719 positive Kinder und Jugendliche entdeckt – das waren 0,24 Prozent. Nach einem Corona-Hotspot-Geschehen sieht das nicht aus. Dennoch: Es könnte ja sein, dass …
Masken für Kinder: Bis heute keine Nutzen-Risiko-Abwägung
Und noch etwas gibt zu denken: Die Maskenpflicht in Schulen gilt in NRW inzwischen seit rund einem Jahr. Bis heute hat die Landesregierung weder den konkreten Nutzen analysiert noch diesen gegen mögliche Gesundheitsrisiken durch das Tragen der Masken bei den Kindern abgewogen.
Denn auf die Frage, welche Daten dem Ministerium inzwischen über etwaige physische und psychische Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen durch das stundenlange Tragen dieser Utensilien vorliegen, erklärte der Sprecher nur sehr kurz: "Dem MAGS liegen über die öffentlich zugänglichen Informationen hinaus zu diesem Thema keine weiteren Studienergebnisse vor. Welche öffentlichen Informationen speziell in Bezug auf Minderjährige er genau meint, sagte er nicht. Von entsprechenden Untersuchungen bei Minderjährigen ist zumindest auf der Webseite des RKI nichts zu finden.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - Depressiv, vernachlässigt, suizidgefährdet: Kinder- und Jugend-Psychiatrien laufen über
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.